Texte

Sommertage. Zu den Pastellen von Gabriele Holert

von Heinz Spielmann

(erstmals erschienen in Gabriele Holert. Bildersommer 1989–2000, Hamburg: Selbstverlag 2009)

Gelegentlich findet ein Talent frühe Anerkennung. Gabriele Holert erfuhr sie, als sie gerade zwölf Jahre alt war. Allerdings war das Lob von Zweifel getragen. Unter einer ihrer Kinderzeichnungen fand sie als Bemerkung ihres Lehrers neben einer anerkennenden Bewertung die skeptische Frage: „Eigenständige Arbeit?“. Offenbar glaubte er nicht, dass sie das Blatt allein zustande gebracht habe. Was sie damals kaum belegen konnte, beweist sie heute – eine sich wie selbstverständlich äußernde, in Bildern vor Augen stehende Fähigkeit des Sehens, ein durch Anleitung zwar gefestigtes, entscheidend jedoch auf sch selbst gegründetes Vermögen.

Gezeichnet hat Gabriele Holert von früh an immer, vor allem auf Reisen, in schnell erfassten Zeichnungen ihre Augenerlebnisse vor Augen stellend und mit einigen zugehörigen Notizen erläuternd. Auch heute noch hält sie auf Reisestationen ihre Tageseindrücke auf diese Weise fest. Aus solchen privaten Skizzen und Aufzeichnungen heraus wuchs mehr und mehr ihr Wunsch, von ihren Fähigkeiten professionellen Gebrauch machen zu können. Heute bedauert sie, dass sie ihre Begabung nicht so früh wie die meisten Studenten an einer Kunstschule trainieren konnte. Aber wäre der akademische Kunstbetrieb der letzten Jahrzehnte für sie das Richtige gewesen? Hätte er ihren besten Möglichkeiten, dem spontanen, unverstellten Sehen, nicht schaden können? Ein intellektualisierendes Theoretisieren oder ein Insistieren auf Tagesaktualitäten hätte sie schwerlich geschätzt. Ohne solche Einflüsse und Störungen blieb sie unangefochten sie selbst.

Alfred Lichtwark, dem die visuell–ästhetische Bildung der Gesellschaft durch eigene künstlerische Tätigkeit ein zentrales Anliegen war, hätte in den Resultaten von Gabriele Holerts Malen und Zeichnen wohl einen Beleg dafür gesehen, dass er ein erreichbares Ziel verfolgte, ein Ziel, das im 18. und 19. Jahrhundert noch als selbstverständlich galt. Dass man mit sicherer Hand zeichnen, mit ausgebildetem Sprachgefühl schreiben konnte, war mehr die Regel als die Ausnahme.

Gabriele Holert hat sich lange gescheut, ihre Bilder und Blätter in der Öffentlichkeit zu zeigen, aus Bescheidenheit, aber mehr noch deshalb, weil sie in erster Linie für sich selbst malt und zeichnet. Ihr Mann Heinz Holert hat das Privileg, als erster – und lange oft auch als einziger – das gerade Entstandene oder Entstehende sehen zu können, mit ebenso viel Zuneigung wie kritischer Anteilnahme. Seine Reaktion gibt ihr die Sicherheit, dass sie objektiv beurteilt wird. Schmeicheleien passen ebenso wenig zu ihr wie Indolenz, sie erwartet ein Urteil, das ihrer Selbstkritik standhält.

Es war ein Glück, dass Gabriele Holert in dem Augenblick, in dem sie sich der Malerei über das Skizzieren von Erlebnissen hinaus intensiv zuwenden wollte, seit 1982 eine ihre adäquate Hilfe und Anleitung durch den Maler Rolf Schröder-Borm fand. Seine mit klarem Urteil verbundene Behutsamkeit war die beste Voraussetzung dafür, dass sie schnell von ihrem Talent den sie befriedigenden, von Freunden bald anerkannten Gebrauch machen konnte. Für diese Förderung blieb sie ihm bis heute dankbar. „Er hat mir freie Hand gelassen. Seine Korrekturhinweise habe ich wissbegierig aufgesogen… Sein Unterricht war sehr konzentriert.“ Man spürt aus einer solchen Notiz die Intention, über das Vergnügen des Dilettanten hinaus zur Professionalität zu gelangen.

In dem nicht allzu langen Prozess, der dorthin führte, gab es für sie 1989 eine fruchtbare Zäsur durch einen Aufenthalt von mehreren Wochen im Medoc, wohin Schröder-Borm seine kleine Gruppe zum Malen eingeladen hatte. Ungestört durch die Pflichten des Alltags konnte sie sich in dieser Zeit ausschließlich ihrer Malerei widmen. „Den ganzen Tag stand ich mit der Staffelei allein in dem kleinen Dorf, oder ich hockte in der zweiten Woche an einem Feldrand und malte ein riesiges Sonnenblumenfeld, oder ich malte seine (Schröder-Borms) Küchentür in dem gleißenden Licht.“ Während dieses kurzen Aufenthalts in Südfrankreich wurde aus der Neigung Gabriele Holerts zum Malen eine Passion, unbeschadet der – vorübergehenden – Verzweiflung darüber, dass ihr in dem am Ende der Malwochen einsetzenden Dauerregen nicht alles gelang. Aber ist Verzweiflung etwas anderes als eine Form der Passion?

In ihrer ersten, im Jahr 2000 präsentierten Einzelausstellung, hat die Malerin Rechenschaft von ihrer Arbeit während des zuvor vergangenen Jahrzehnts abgelegt. Sie zeigte damals einem begrenzten Freundeskreis vor allem Gemälde, aus denen die Genauigkeit ihres Sehens, ihre Beherrschung der Bildordnung, ihr Sinn für helles Kolorit sprechen. Seitdem gewannen die freie Landschaft und Blumen der Gärten für sie eine größere Bedeutung., beflügelt durch längere Aufenthalte im Haus der Familie an der Schlei. Hier brauchte sie nur wenige Minuten, um in unmittelbarer Nähe eine abwechslungsreiche Natur um sich zu haben. Die hügeligen, von lärmenden Besuchern noch nicht essentiell tangierten Uferregionen der Endmoränen Angelns und Schwansens mit ihren nie gleichen, oft überraschenden Ausblicken auf das Wasser und mit den im Frühjahr gelb aufleuchtenden Rapsfeldern haben es ihr besonders angetan; aber sie stimulierten auch die Dünen auf Sylt, die Kurische Nehrung, ein Gletscher im Fextal, ein Dorf in der Provence – lauter Regionen ohne Betrieb und Touristen. Gabriele Holert liebt Landschaften, die zwar von Menschen kultiviert wurden, in der sich aber die Natur frei von Eingriffen durch eine zerstörerische Zivilisation erhalten hat.

Das Pastell, von dem sie während der davor liegenden beiden Jahre nur gelegentlich Gebrauch gemacht hatte, wurde für sie seit 2003 zum bevorzugten Medium. Es entspricht ihrem Temperament und ihrem künstlerischen Selbstverständnis; es erlaubt ebenso subtile wie leuchtende Farben, es fordert ein gewisses, dem spontanen Sehen entsprechendes Tempo, es ist getragen von einem leichten Duktus. Wie sehr diese Möglichkeiten dieser Malerin adäquat sind, ist aus den Blättern unschwer abzulesen. Man spürt ihre wachsende Freiheit, aber auch ihre Konzentration und Kontemplation, ihre leise vibrierende Ruhe.

Ruhe strahlt auch das Licht ihrer Blätter aus. Es ist mehr durch Statik als durch ständige Veränderung bestimmt. In einer Landschaft, die einen schnellen Wechsel des Lichts kennt, erscheint eine solche Statik als besonders bemerkenswert. Sie ist nicht nur ein gelegentlich eintretender Zustand der Natur, in ihr spiegelt sich, um deren ständigen Wandel unbekümmert, ein Wesenszug der Malerin, selbst dann, wenn auf den Pastellen die vorüberziehenden Wolken, die Strömung der Flut oder das im Wind wehende Dünengras verraten, dass diese Natur nie unbewegt ist.

Dass eine statische Ordnung der Welt der Malerin bestimmt, lässt sich am unauffälligen und unaufdringlichen Bildbau der Pastelle beobachten, besonders deutlich aber in der Ansicht des Provencedorfes Rians aus dem Jahr 2004. Die Tektonik der Häuser mit den sie überragenden Kirchtürmen und den sie rhythmisch paraphrasierenden Zypressen geben zu erkennen, dass in den Pastellen die gleiche Bildordnung dominieren kann wie in den ein gutes Jahrzehnt früher entstandenen Gemälden aus dem Medoc.

Als Gabriele Holert einige ihrer Pastelle Klaus Fußmann zeigte, stimulierte sie sein Zuspruch zu vielen weiteren Arbeiten. Sie verraten eine von Effekthascherei völlig freie Sicherheit. In dieser Reihe nehmen Blätter mit Blumen breiteren Raum ein. Zu erklären ist dies zunächst aus den Arbeitsbedingungen der letzten Jahre. An die Stelle des Refugiums an der Schlei trat ein Refugium im Hamburger Garten. Dieser Garten lebt von den im Jahresfluss blühenden Blumen. Vom Frühjahr bis zum Herbst hat die Malerei ständig Beete mit wechselnden Farbklängen vor sich. Die Pastelle halten diese Pracht fest, sie feiern den Augenblick und das Vergehen auf dem Höhepunkt der Blüte. Im Bild gewinnt die Vergänglichkeit Dauer, so, als ob der Sommer keine Unterbrechung und kein Ende kenne. Auf den ersten Blick wähnt man, einen zufällig bestimmten Ausschnitt von Blumenbeeten vor sich zu haben, dann entdeckt man, dass der Zufall in eine lebendige, durch Farbklänge geprägte Bildordnung eingebettet ist. Eine kleine rote Knospe etwa setzt einen Akzent zwischen das Weiß-Rosa der Bauernrosen, eine violette Blüte zwischen roten Hagebutten, jeweils vor moduliertem Grün; die ockergelben Strahlen der Rubeckia alternieren rhythmisch mit dem Blau-Violett von Herbstanemomen: das modulierte Blau und das weißliche Rosa von Hyazinthen stehen im Kontrast zu weißen Tulpenblüten, belebt durch die Rhythmik der grünen Stengel.

Zwar entspricht das Kolorit dieser Blumenpastelle der Leuchtkraft der Blüten, aber es erscheint nie plakativ, selbst dann nicht, wenn eine einzige Farbe vorherrscht, etwa mit dem verführerischen Rot von Mohn, Amaryllis oder Christsternen. Alle Töne und Klänge werden subtil moduliert, am augenfälligsten in weißen oder tiefschattigen Partien, also dort, wo der kräftige Farbklang die Helligkeiten und Dunkelheiten nicht überdeckt. Subtile Modulationen treten aber auch anderswo hervor, etwa, wenn zwischen weißen und hellroten Rosen am Rand ein blau-violetter Schatten aufleuchtet oder wenn einige wenige helle Blüten im Violett-Schwarz von Eisenhut aufblitzen. Solche Nuancen zeigen, wie genau die Malerin hinsieht, dass sie aber auch einen – ihr vielleicht nur bedingt bewussten – Sinne für eine lebendige, reichere Bildstruktur besitzt.

Bei aller Freiheit der Klänge und Nuancen erlaubt sich Gabriele Holert nie das Ungefähre. Es gibt nie einen Zweifel an dem, was jeweils dargestellt ist. Jeder Botaniker kann sofort sagen, worum es sich handelt. Hier lebt eine Tradition fort, die verloren schien, die Blumenmalerei der Niederländer des 17. Jahrhunderts, der Wiener und Kopenhagener Schulen des 19. Jahrhunderts. Was kann man besseres sagen, als dass eine Kunst noch präsent und lebendig blieb, die wir schon aufgegeben hatten?

 

Es ist eine Sucht, ein Rausch

von Johannes Roth

(erstmals erschienen in Gabriele Holert. Bildersommer 1989–2000, Hamburg: Selbstverlag, 2000)

Maler darf man sowieso bewundern. Doch die im Freien malen, kämpfen an zwei Fronten zugleich. Sie haben es mit dem Anspruch ihrer Kunst zu tun, und seien es zuerst einmal nur die Forderungen des Handwerks. Daneben tritt ihnen die Natur entgegen. Und sie scheint nichts im Sinn zu haben, als das Kunstwerk zu vereiteln.

Der Standort für das Malen ist glücklich gefunden, die Staffelei aufgebaut, das Motiv skizziert, der Pinsel hat die erste Farbe von der Palette genommen. Wenn nun Wind aufkommt? Nicht nur die Leinwand wird unruhig. Die Malerin kann wieder einpacken. Und hilft ein böser Kobold, fällt das Bild in den Sand, wie die Stulle mit der Butterseite nach unten. Das ist der Malerin nie passiert, aber Max Liebermann zum Beispiel.

Wenn das Hinterteil der Kühe, die stolz die dicken Euter zeigen, noch kaum skizziert ist, laufen sie wieder weg. Oder die Kühe gucken zu, glotzen von vorn. Kommt der Bauer vorbei, will er das Bild haben.

Wenn ein heiterer Himmel mit wohlgeformten Cumuli aufwartet, fahren Schatten übers Land und knipsen der Malerin das Licht an und wieder an. Und wieder aus.

Wenn das Licht verlässlich ist und gleichmäßig, wechselt es doch. Auf der Kurischen Nehrung malt Gabriele Holert diese hohen Kiefernstämme, deren Rindenschuppen so kraftvoll leuchten: orange und ocker, rostrot und graubraun. Sie kann aber nur am Morgen malen, „nachmittags finde ich die Farben vom Vormittag gar nicht wieder.“

Die Kiefern auf der Nehrung verraten viel über die Malerin, die nicht zwischen Pflicht und Neigung unterscheidet, weil bei ihr beides zusammenfällt. Sie war im Sommer 99 dort oben an der Ostsee. Und war fasziniert von diesen gewaltigen Stämmen, die in der harten Sonne des Nordens triumphal und fast golden glänzen. Hatte aber nur Papier und Wasserfarben dabei. Also ging es in die Sommerfrische nach Litauen, diesmal mit Leinwand, Staffelei und den Ölfarben. Zwei Vormittage lang erfüllte sie sich ihren „sehnlichen Wunsch, hier über dem Haff zu stehen, umgeben von diesen herrlichen Kiefern.“ Und sie fügt hinzu: „Ich kann es kaum glauben, dass ich hier stehe und male.“

Ja, sie kann das Glück kaum fassen, wenn sie das Objekt ihrer Begierde vor Augen hat und auf die Leinwand bringt. Ihre Motive muss sie nicht suchen. Sie malt, weil etwas gemalt sein will, gemalt werden muss. Da kann sie dann sehr eisern sein. „Immer zwischen dem 15. und dem 31. Mai sind die Tage für die Rapsmalerei reserviert. Jahr für Jahr erliege ich dem gelben Rausch. Es ist wie eine Sucht. Ich genieße die Tage im Raps, den süßherben Duft und dieses endlos weite Gelb.“

Ein Rauscherlebnis anderer Art waren die italienischen Fliesen im Hotel auf Ischia. „Diese Fußböden, spiegelblank, haben es mir angetan.“ Die müssen gemalt werden, auf dem Balkon, im Salon, im Korridor. Auch die Dächer von Florenz wollen gemalt sein mit Brunelleschis hoher Domkuppel, die unsichtbaren Kuppeln Roms, Venedig im Novemberlicht.

Denn es kamen, angeregt durch Vorlesungen über Architekturgeschichte, ganz neue Motive und eine neue Begeisterung hinzu: Beim Durchwandern alter Städte lassen sich im Skizzenbuch der Zauber und die Majestät der Baudenkmäler vergangener Epochen festhalten. Die Bilder entstehen dann zu Hause nach den Vorlagen, die vor Ort in Muße skizziert wurden. Rom war die erste Station.

Trotz aller Begeisterung für die architektonischen Wunder der italienischen Renaissance und des Barocks, trotz der aufregenden Stadtstreicherei mit dem Malrucksack sind es dann auch wieder die Bäume, die Blumen, die sie hinausziehen in die Landschaft.

„Fernab vom Alltag, mitten in der Natur ganz allein zu sein und zu malen, sich der Sonne und dem Wind auszusetzen, den Vögeln zu lauschen, Vesperpausen einzulegen, wieder ans Bild zu drängen, zu erleben, wie es wächst: ein freudiger Rausch!“

Gabriele Holert kämpft also gar nicht mit den Tücken der Natur. Sie steht vor ihrer Staffelei, manchmal sitzt sie auch, und zähmt das Ungebärdige, indem sie das Malen als ein Glück begreift.

Und wir begreifen, warum ihre Bilder, sogar der Wassertum und die Krugkoppelbrücke, alle etwas Leuchtendes haben, getragen von einer soliden Heiterkeit. Sie sind so fröhlich wie wahr: Anstiftungen zur Lebenslust.

 

 

Gemalte Weihnachtsgrüße

von Johannes Roth

(erstmals erschienen in Gabriele Holert. Gemalte Weihnachtsgrüße. Radierung, Ölbilder und Pastelle 1992–2009, Hamburg: Selbstverlag 2009)

 

Im Dezember werden Karten versandt. Herzliche Grüße zum Weihnachtsfest und zum Neuen Jahr.

Eine Faltkarte sollte es sein. Über das Vorgedruckte hinaus bietet sie genügend Raum für zusätzliche handschritliche Botschaften.

Und es empfiehlt sich, eine Malerin zur Frau zu haben. Eine Lebensgefährtin, die dafür sorgt, dass in jedem Jahr eine neue originelle, besondere Karte vorliegt. Nicht in den einschlägigen Geschäften gekauft, sondern von der Staffelei genommen oder dem Zeichenblock entrissen.

Für die Malerin ist es harte Arbeit. Für den Versender ist es das reine Glück. Die Bilder aus eigener Herstellung befeuern seine Füllfeder.

Die erste Weihnachtskarte der hier versammelten Serie entstand 1992, als Gabriele Holert gerade begonnen hatte, sich neben der Ölmalerei mit der Radierung zu beschäftigen. Sie abstrahierte die Fassade des Hauses am Winterhuder Kai und zeigte die Familie in den Fenstern. Dieses sehr private Motiv war ein Weihnachtsgruß für den engsten Freundeskreis.

Die Karte wurde so zustimmend aufgenommen, dass der Künstlerin der Auftrag zufiel, doch bitte für das nächste Jahr ein Bild zu radieren, zu zeichnen oder zu malen, das als offizielle Weihnachtskarte von Garpa Verwendung finden könne. Und so nahmen das Glück und die Arbeit ihren Lauf. Jahr für Jahr.

Kaum waren die Weihnachtsgrüße bei den Empfängern, hat Gabriele ihr Motiv für das folgende Jahr gesucht, gefunden, und hat das Bild vollendet, bevor der Winter dem Frühling wich, manchmal schon, wenn der Baum sein Lametta noch gar nicht verloren hatte. Die Malerin sah sich in die Pflicht genommen. Sie machte aus der Pflicht eine Kür, blieb aber immer stramm am Ball.

Gleiche Größe, verschiedene Techniken, wechselnde Motive. Mal drinnen, mal draußen. Natürlich das Weihnachtszimmer.

Die Schachteln mit dem Baumschmuck. Die Nussknacker. Die Kugeln. Die Zimtsterne. Die Vorfreude. Die Kerzen brennen. Der Engel tanzt.

Dazwischen Winterszenen auf dem Eis der Alster, des Leinpfadkanals, die Schlitten im Abteipark. Oder ein verschneites Dachgewinkel in Bern. Ganz vorn der Buntspecht, der 1993 den ersten Gruß von Garpa überbrachte.

Wie der Vogel am Fenster auch im Grenzbereich zwischen Drinnnen und Draußen; Blumen, die den Winter lieben. Amaryllis.

Weihnachtssterne. Und wie wandelnde Blumen die farbige Dreikönigsprozession mit dem Kamel vor dem Schnee jenseits der Scheiben.

Was wird uns Garpas Weihnachtsgruß im nächsten Jahr bringen?

 

 

Farbenfrohe Blattwerke

von Katja Holert

(erstmals, in leicht abweichender Form, erschienen im Katalog Gabriele Holert. Collagen II, Hamburg: Selbstverlag 2019)

 

Neugier treibt sie an, der spitzbübische Blick hinter die Kulissen und die Lust, Fragmente zusammenzuführen, die bis dahin einer ganz eigenen Aussage, Bestimmung und Nutzung folgten. Die Welt der Collagen bestimmen nun schon seit 2011 das künstlerische Schaffen von Gabriele Holert und bis heute sind über 180 Werke entstanden.

Etwa hundert Jahre zuvor erlangte die Collagetechnik ihren Durchbruch. Die Liste bekannter Künstler, die sich dieser Kunstform damals zugewandt haben, umfasst Namen wie Georges Braque, Pablo Picasso, Kurt Schwitters, Max Ernst oder László Moholy-Nagy.

Das Hauptanliegen bei der Collage ist seit jeher die Nähe des Kunstwerks zur wirklichen Welt. Durch die Kombination alltäglicher Materialien und Impressionen wie Texten oder Fotos wollen Collagekünstler ihren Werken eine bestimmte Realität geben oder – wie es Robert Rauschenberg ausdrückte: „Ich bin der Meinung, dass ein Bild wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist.“ Es werden immer wieder politische Ereignisse, kulturelle Strömungen oder auch wirtschaftliche Entwicklungen in der Collage verarbeitet. Durch den technischen Fortschritt kommen stetig mehr Motive und Mittel dazu und machen die Collage so zu einer faszinierenden Chronik der Zeit.

Man stelle sich die unglaubliche Konzentration – fast Standhaftigkeit – vor, derer es bedarf, um bei der Fülle der zur Auswahl stehenden Materialien, Motiven, Skizzen oder Fotografien, die auch Gabriele Holert in ihrem großen Fundus inzwischen angesammelt hat, ein Thema zu formulieren und dieses dann konsequent zu verfolgen.

Dabei weiß auch sie inzwischen ganz genau, wie daraus Geschichten gestaltet und die Neugier des Betrachters geweckt werden können, um ihn schließlich auf Entdeckungstour zu schicken. Und es gibt wirklich vieles zu entdecken, abzuleiten und herauszufinden, wenn man sich ihren Motiven zuwendet, sich auf sie einlässt.

Dass sich die Künstlerin hierfür auch auf ihre große handwerkliche Kreativität und Begabung verlassen kann, ist ihr und uns ein zusätzliches Glück. Die Vielfalt der Materialien, die sie einsetzt, erfordern unterschiedlichste Methoden der Zerkleinerung, Verbindung und Befestigung. Auch der bisweilen extrem hohe Detaillierungsgrad lässt nur erahnen, welche Präzision, aber vor allem Geduld erforderlich waren, um kleinste Streifen einander zugehörig zu finden und schließlich eng an eng aneinanderzureihen.

Außenstehenden mag das Zusammenfügen einzelner Elemente fast spielerisch erscheinen. Aber es ist in Wahrheit ein zuweilen langer und quälender Prozess. In einem Brief schreibt mir die Künstlerin: „Vielleicht guckst Du gerne auf meine Collage, mit der ich mich gestern und heute stundenlang beschäftigt habe und gequält, das sieht man nicht. Es haftete nicht, so habe ich zur Nähmaschine gegriffen…“

Sicher gibt es eine Vielzahl an Befestigungs- und Verbindungsmöglichkeiten. Kleben ist dabei die gängigste Methode, weshalb es auch nicht verwundert, dass sich der Begriff Collage vom französischen Verb „coller“ = kleben ableiten lässt.

Jedes einzelne Bauteil einer Collage wird zunächst aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, läuft gar Gefahr seine Eigenständigkeit zu verlieren. Im Zusammenspiel mit weiteren Elementen erhält es schließlich eine ganz andere Positionierung, bleibt aber auch im neuen Kontext als Einzelteil zu erkennen. Manchmal muss man es nur ein bisschen suchen. Die Interaktion aller Fragmente schließlich bietet dem Betrachter häufig mehr als nur eine Interpretationsmöglichkeit.

Das Gesamtwerk der Collagen von Gabriele Holert verbindet auf der einen Seite der Mut und die Freude am Einsatz leuchtender Farben, die mal harmonische und mal kontrastierende Einheiten bilden. Auf der anderen Seite begegnen uns in vielen Werken wahrlich humoristische Elemente, die sie schalkhaft in Szene zu setzen weiß. Nicht zuletzt bei den Collagentiteln lässt sich erahnen, mit welch‘ verschmitztem Augenzwinkern die Künstlerin diese erdacht hat: „Zuckerpuppen“, „bitte nicht blinzeln“, „abgeschleppt“ oder „na und?“ stehen beispielhaft für ihr Talent, auszudrücken und auf den Punkt zu bringen, welche interpretatorische Richtung der Betrachter einschlagen möge, um die Komposition aus ihren Augen zu sehen.

Was passiert in Schneemanns Traum (2017)? Weihnachtliches Flair ist unübersehbar. Dafür ist der Fond aus Sternen und die glänzende Kugelpracht auf dem Schopfe verantwortlich. Aber dann: was macht das frohlockend grinsende Gesicht da unter ihrem Arm? „Schneemanns Traum“! Na klar, bei dieser Perspektive kann man nur hoffen, dass selbiger nicht zu schnell dahingeschmolzen ist.

Überhaupt scheinen sich Schneemänner in ihren Werken an leicht bekleideten Damen zu erfreuen und so ihrem häufig viel zu kurzen Leben einen Sinn zu geben… Da hätten sich die beiden Kameraden wohl gern an Stelle von Zeus in einen Schwan verwandelt und sich so der schönen Leda genähert.

Es wirkt aber fast, als würde zwischen den Protagonisten ein Vulkan toben, um somit zu unterstreichen, wie weit die beiden von dieser Illusion entfernt sind (Donnerschlag! Leda und der Schwan, 2017). Der kleine Liebesapfel in der Collage Lucrezia (2017) sendet da schon viel positivere Signale.

Auf ihren jährlichen Reisen an die Nordseeküste hat sich unsere Künstlerin wohl ebenso wie damals Christian Morgenstern von einem Seevogel inspirieren lassen. Während der Dichter in seinem Möwenlied reflektiert „Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen“ hat Gabriele Holert dies bildhaft konkretisiert: In typischer Haltung auf einem Bein stehend und modisch von Kopf bis Fuß…so lässt sich ganz lässig an der Küste entlangstolzieren (Frau Möwe, 2018).

Und wenn die Möwe mal nicht einem Leben auf dem Catwalk nachhängt, dann doch zumindest von einem streng geführten Regiment am Strand. Sobald ihr dort etwas nicht in den Kram passt, wird gern mal mit Nachdruck geschaut. Der blaue Fisch – aus einem Aquarium in Valencia nach Norddeutschland geschwommen – aber, der sich abseits seines nassen Reviers auf den Strand gewagt hat, fragt einfach nur seelenruhig zurück: na und? (2018).

Viele spannungsvolle Momente gelingen Gabriele Holert bei der Verwendung von Elementen aus der Mode. Sie ist – ganz nebenbei – auch selbst eine begnadete Schneiderin, die ihre Werkzeuge regelmäßig für Anpassungen, Änderungen oder für eines ihrer Kunstwerke im Einsatz hat.

Für ihre Collagen nutzt die Künstlerin Mannequins aus Werbung und Modejournalen und setzt diese in den unterschiedlichsten Szenarien ein. Schon fast kontemplativ wirkt die Collage, in der das Model aufrecht durch zwei nur als Blätter angedeutete Bäume schreitet. Dass die Adern dieser echten Blätter von der Künstlerin mit feinem Nadelstrich noch verstärkt wurden, betont die Linienführung ebenso wie das horizontal gespannte Band.

Die verwandten Farben sind ruhig und aufeinander abgestimmt. Eine ganz feine Gaze verbindet und überdeckt schließlich diesen ruhigen Moment mit dem Titel Theresa (2017). Ein ähnlich stiller Bildaufbau ist Gabriele Holert bei Valentina (2017) gelungen. Der Laufsteg erhält seine Struktur durch spitze Dreiecke aus geprägten Papieren. Im Hintergrund sorgt eine eigene Fotografie aus Valencia für die gewünschte Tiefenwirkung. Abseits der Bühne ist Dunkelheit, nur kleine weiße Dreiecke schweben im Raum herum und deuten so Rampenlicht und Blitzlicht an.

Die Collage Streifen (2017) ist spannungsvoller. Sie lebt von dem Unterschied zweier monochromer graphischer Muster, die durch einen provokant wirkenden Papierriss endgültig getrennt bleiben.

Unglaubliche Fingerfertigkeit und Geduld beweist die Künstlerin bei jenen Arbeiten, in denen schmale Streifen in- und aneinandergefügt werden. Dabei gibt sie sich nicht damit zufrieden, den einzelnen Streifen in einem Stück zu belassen. Um die Farbigkeit über die gesamte Collage zu verteilen, werden diese Streifen zunächst zerschnitten, dann neu zusammengeklebt und schließlich miteinander verwoben.

Beispielhaft hierfür stehen die Kirchenfenster, zu denen sie schrieb: „Dafür bin ich vollkommen vertieft in meine romanischen Kölner Kirchenfenster. 3 Collagen sind entstanden. Die beiden kleineren haben ca. 800 Einzelteile. Die große satte 1.000-tausend! einzelne kleine Teilchen.“ Man hat es geradezu vor Augen, wie es bei der Herstellung dieser besonders kleinteiligen Werke in ihrem Atelier aussieht. So nutzt die Künstlerin verschiedene Arbeitstische parallel und fegt was immer nicht mehr benötigt sprichwörtlich vom Tisch – und damit auf den Boden. „Es sieht aus, als wäre hier eine Bombe eingeschlagen“, beschreibt sie kurz und knapp dieses kreative Chaos. Ihre Kirchenfenster, die daraus entstanden sind, erzielen dadurch in ihrer Farbigkeit und Harmonie eine ebenso schöne Wirkung wie die Farbenpracht der Glaskunst vergangener Zeiten (Mohna, 2017, und Romanik II, 2018).

Ebenso wie bei ihren Ölbildern, Aquarellen und Pastellen wendet sich Gabriele Holert auch bei ihren Collagen den Landschaften zu. Das erscheint einerseits konsequent. Aber ist es nicht viel schwieriger, die Anordnung von Feldern, Bergen oder Küstenlandschaften mit einzelnen, ganz unterschiedlichen Komponenten wiederzugeben? Die farbenfrohe und kontrastreiche Darstellung der Hügellandschaft der italienischen Marken mit ihren von Obstbäumen durchsetzten Wiesen, Getreidefeldern und Weinbergen beweist, dass es der Künstlerin gelungen ist, eine ganz eigenständige Interpretation des Landschaftsbildes zu schaffen (leuchten die Felder – Marken II, 2017; Mecklenburg, 2017). Und immer wieder begegnen uns in ihren Collagen menschliche Wesen. Während sie in der Malerei häufig Distanz gewahrt hat von der Darstellung von Personen, so scheint sie dieses Motiv für ihre Collagen jetzt immer wieder neu herauszufordern.

So wie die beiden Liebenden, die die Künstlerin auf einer Kachel in einem Jagdschloss bei Lissabon entdeckte, und deren verschlungene Haltung so gut zu den in Herzform ausgelegten Brezeln passt – „seid umschlungen“ möchte man dazu nur sagen (umschlungen, 2017). Oder der Postbote, den Gabriele Holert samt Posttasche aus einer Vielzahl an Briefmarken erst entstehen ließ und der nun in aufrechter, stolzer Haltung seinen Dienstantritt herbeisehnt (Der Postmann, 2019).

In ganz anderer Form präsentieren sich die Zuckerpuppen (2017). Der hinterlegte Kartenausschnitt zeigt das Zentrum von Valencia. Wie auf einem Bahngleis hat die Künstlerin zehn Frauen auf einem echten Reißverschluss in Reih und Glied platziert. Rechts von ihnen erhebt sich eine blaue Männerskulptur, die wiederum ihren Blick über die Köpfe der Damen hinweg in die Ferne richtet. Woher die Zuckerpuppen ihren Titel haben? In einem Café entdeckte die Künstlerin ganz zufällig diese drolligen Damen auf den dort bereitgestellten Zuckertütchen.

Abschließend sollte der Blick unbedingt noch auf das beschwingte Motiv des kleinen Mädchens gerichtet werden, das auf der Schaukel den Herbststurm für den nötigen Schwung auszunutzen scheint und wo mindestens ebenso schwungvoll blutrot gefärbte (echte!) Blätter nur so über die Collage wirbeln (wie der Wind, 2017).

 

 

Reiseskizzen

von Heinz Holert

(erstmals erschienen im Katalog Gabriele Holert. Reiseskizzen 1992-2009, Hamburg: Selbstverlag 2017)

In Gabrieles unzähligen, auf Reisen entstandenen Skizzenbüchern finden sich die Spuren einer großen Leidenschaft, zu der diese Auswahl von Blättern mit Zeichnungen, Aquarellen und Notizen einen Zugang verschaffen mag.

Im Grunde sind es zwei Leidenschaften, die sich schon früh bei Gabriele auf besondere Weise verbinden. Einerseits der Wunsch, Neues zu entdecken, sich mit bislang unbekannten Landschaften, Städtebildern, Kirchen und Schlössern auseinanderzusetzen; andererseits die unbändige Lust, etwas von dem, was sie sieht, zu skizzieren.

Sie kann ganz unglücklich werden, wenn sich eine solche Möglichkeit zu skizzieren nicht ergeben will, und auf der anderen Seite überglücklich, wenn sie doch, oft nach langer Suche, noch ein interessantes Motiv findet, das sie festhalten kann.

In den letzten Jahren war ich häufig ihr Reisebegleiter und habe gelernt, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, dass es sich lohnt, die Dreibeine und kleinen Klapptische zusammen mit den Malutensilien unter den Arm zu nehmen und zu dem gewünschten Platz zu wandern. Insbesondere, wenn die Umgebung des Ortes, an dem die Skizze entstehen soll, angenehm abgeschlossen ruhig und reizvoll ist, kann das Glück grenzenlos werden.

Zur Logistik des Unterwegsseins mit Skizzen-Reisetagebuch schreibt Gabriele:

„Immer führe ich ein Skizzenreisetagebuch mit mir im Gepäck. Im Handgepäck. Es kommt nie in den Koffer, der verlorengehen könnte. Mein Malrucksack ist gleichzeitig mit dem Klappsitz ausgerüstet, so daß ich mich überall und jederzeit setzen kann, den Rucksack sicher unter meinem Sitz befestigt wissend. Einen Skizzenblock nehme ich auch mit auf meine Bergwanderungen. Ohne immer die Gewißheit zu haben, wenn ich wollte könnte ich malen, würde mir unterwegs etwas fehlen.“

Für die Zusammenstellung in dem vorliegenden Katalog habe ich mich auf Skizzen aus den Jahren 1992 bis 2017 konzentriert. Natürlich dokumentieren die von mir ausgewählten Arbeiten nur einen kleinen Teil der von ihr besuchten Orte, Landschaften und Bauwerke.

Die Bildauswahl beginnt im Februar 1992 – mit dem Blick aus der Wohnung einer Freundin hinunter in eine typische New Yorker Straßenschlucht.

Es folgen sehr viel sanftere Motive – von einer Wandertour über die griechischen Inseln Patmos und Kos, gemeinsam mit Katja, unserer Tochter, im gleichen Jahr unternommen; und von der italienischen Insel Ischia, die wir ab 1982 insgesamt sechzehn Jahre lang bereisten.

Weitere Reiseschwerpunkte waren immer wieder die geliebten Berge, die Kirchen, Dome und Kuppeln und Paläste in Venedig, Rom und Florenz, die gemeinschaftlichen Reisen an die Loire, in die Toskana, die Reise mit Katja und Thomas nach Namibia und natürlich die zahlreichen Auszeiten auf Sylt und in Mecklenburg-Vorpommern.

Gabrieles Geburtshaus. Das Haus ihrer Großeltern Anna und Johannes Hofmann in Chemnitz, Weststraße 36, zeigte sie mir an ihrem 58. Geburtstag.

Es wurde schnell skizziert.

In den Folgejahren entdeckt Gabriele für sich die besondere Faszination des Alleinreisens.

1997 fährt sie im März vier Tage allein durch Mecklenburg-Vorpommern. Sie schreibt dazu in ihrem Reisetagebuch: „Die Backsteinarchitektur ist hier so dominierend, die romanischen Dorfkirchen (die Kirche in Gadebusch fast schon ein Dom), die gotischen Kirchen, ein Kleinod die Kirche Baggerdorf bei Grimmen, die Stadt selbst mit ihren Rothäusern, strenge hohe, meist gotische Formen. Eine weite schöne Landschaft.“

Im gleichen Jahr macht sie sich im April auf den Weg nach Rom und schreibt begeistert in ihrem Reisetagebuch: „Alleine nach Rom. Es ist ein Rausch: diese vielen herrlichen Kirchenkuppeln, die Form ist so unglaublich solide und vollendet. Was habe ich alles erlaufen in diesen Tagen. Wie oft habe ich die Piazza Navone gestreift… Berninis letzten Kirchenbau, die S. Andrea al Quirinale. Ach ich möchte sofort nochmal starten, um noch mal zu schauen, noch mehr zu sehen, zu vertiefen.“

Unter der Überschrift „Kirchen, Dome, Kuppeln, Paläste“ hält Gabriele fest: „Daß ich durch eine Vortragsreihe von Prof. Grundmann über Architekturgeschichte mit dem Thema ‚Von der Renaissance zum Jugendstil’ eine wahre Reiselust entwickeln würde, ahnte ich zu Beginn des Vorlesungssemesters nicht. Ich wollte mir in Venedig und im Veneto die Arbeiten Palladios anschauen, ich wollte in Florenz die Kuppel-Konstruktion von Brunelleschi bestaunen, und der Anblick all der Kirchenkuppeln in Rom hat mir den Atem verschlagen.

Tagelang zog ich mit meinem Malrucksack durch die Städte und skizzierte, wo ich unbehelligt zeichnen konnte. Ich habe die Kirchen von innen und von außen festgehalten und am Abend blätterte ich beglückt den Zeichenblock durch.

Dieses ganz alleine Durchwandern der Städte beschert mir großes Vergnügen. Das Gesehene vertiefe ich ohne jede Ablenkung und ohne die Zeit zu beachten.“

Die große Liebe zu den Bergen

Seit ihren Jugendjahren empfindet Gabriele eine große Begeisterung für die Bergwelt. Wann immer sie Berge sieht, spürt man in ihrer Gegenwart ein inneres Jubeln. Sie hat viele Bergwanderungen gemeinsam mit Freundinnen, mit Katja, aber auch mit Alpenvereinswandergruppen in Tirol, Graubünden, im Berner Oberland und im Ober- und Unterengadin unternommen.

Der absolute Höhepunkt ihrer Reisen in die Berge aber war eine Hochgebirgstour rund um den Mont Blanc vom 24. Juli bis 1. August 1999. Sie nahm allein teil an einer hochanspruchsvollen Alpenvereinswanderung mit erfahrenen Bergwanderern aus Bayern. Selbst unter härtesten Bedingungen auf der mehrtägigen Wanderung fand Gabriele dabei immer wieder die Möglichkeit, während einer Rast eine Skizze von ihrer so geliebten Bergwelt zu machen.

Wie hart diese Wanderung mit einfachen Berghüttenunterkünften wirklich war, beschreibt Gabriele in ihrem Reisetagebuch am achten Tag:

„Es folgt danach ein brutaler Anstieg über sogenanntes Blockgelände. Ich weine, ich packe das nicht. Da nehmen mich Hanne und Horst in die Mitte. Horst nimmt auch noch meinen Stock. So habe ich beide Hände frei, um mich an den Felsquadern abzustützen. Unter mir wackelt immer mal einer. Und die Spalten sind so unübersichtlich. Widerlich!

Aber nach einem harten Aufstieg werden wir an der Fenêtre d’Arpette mit dem Blick auf den Trientgletscher reich belohnt.

Um einen langen Berg herum, z. T. scharf am Abhang entlang zum Col de Balme. Eine herrliche Aussicht auf das Mont-Blanc-Massiv und die gewaltige Gebirgskette linkerhand z. T. viel mit Schnee bedeckt, Chamonix liegt im Tal.

Wieder hole ich schnell während der kurzen Rast mein Skizzenbuch hervor und die Zeit reicht gerade.

So etwas haben sie noch nicht erlebt, meinten meine Bergfreunde und einer hat es gefilmt, wie ich da sitze.

Das war mein großes Abenteuer. Ich bin glücklich, dieser Herausforderung gewachsen gewesen zu sein.

Mein Treppentraining vorweg war gut. Glücklich bin ich auch die vielen Eindrücke und Erfahrungen gemacht zu haben. Ein ganz herrliches Erlebnis.

Immer wußte ich, Heiner begleitet mich. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben.“

Skizzen an Nord- und Ostsee

Seit dem Jahr 2003 sind Sylt und verschiedene Orte an der Ostseeküste Mecklenburgs regelmäßige Urlaubsziele. Wann immer es das Wetter zuläßt, verbinden wir unsere täglichen Ausflüge mit kurzen

Skizzenpausen und freuen uns immer wieder, neue, abseits gelegene Plätze zu finden, an denen es einfach Freude macht zu verweilen und die Zeichenblöcke hervorzuholen.

Mit einer kleinen Auswahl von Skizzen aus diesen flachen Regionen beschließe ich die hier vorgelegte Präsentation von Blättern, die von Gabrieles Begeisterung für das Festhalten von Reiseeindrücken mit raschen Strichen und Pinselflecken handelt, einer Begeisterung, die andauert und nicht nur sie beglückt.